Student Voices from Designing the Survival Lounge, July 2020

Designing the Survival Lounge

eine Publikation von Student*innen der TU Berlin mit Unterstützung von Sarah Rivière, Hermann Schlimme, Helle Schröder


The Survival Lounge: Eine Seminarserie des Instituts für Architektur an der TU Berlin

über architektonisches Gestalten mit Strategien aus der intersektionalen feministischen Praxis

Teil 1: Design von Sarah Riviere, Hermann Schlimme und Helle Schröder

ISBN 978-3-9822233-2-2 (softcover)

ISBN 978-3-9822233-3-9 (eBook/pdf)

Free download: https://fg.bsg.tu-berlin.de/downloads/Survival%20Lounge/Pu.pdf

Diese Publikation zitieren:
Student*innen der TU Berlin mit Rivière, S., Schlimme, H., Schröder, H., Designing the Survival Lounge. (Fachgebiet Bau- und Stadtbaugeschichte, Technische Universität Berlin, 2020)

Sarah Riviere, Hermann Schlimme und Helle Schröder vom Institut für Architektur an der TU Berlin haben eine Seminarserie entwickelt, in der das Thema nicht nur in der beruflichen Praxis, sondern auch in der Vorbereitung darauf, der Ausbildung, beleuchtet wird. Anhand eines konkreten Projekts, dem Entwurf und Bau einer Survival Lounge, die Teil des Festivals werden wird, haben sie alternative Strategien für den Gestaltungsprozess entwickelt, die aus der intersektionalen feministischen Praxis abgeleitet sind. Der erste Teil dieses Prozesses, der Ideation und Entwurf in den Mittelpunkt stellt, ist nun in einem spannenden und reich bebilderten Dokumentationsband zugänglich. Zwei weitere Bände über das Bauen und das „Erwohnen“ der Lounge werden folgen.

Die theoretische Grundlage des Seminars ist eine Form des intersektionalen Feminismus, den die australisch-britische Forscherin Sara Ahmed vertritt. In ihren Veröffentlichungen A Killjoy Survival Kit und A Killjoy Manifesto präsentiert sie einen Baukasten von Überlebensstrategien für gesellschaftliche Gruppen, deren Sichtweisen und Bedürfnisse, aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung, ihres sozialen oder kultureller Herkunft, im Hintergrund bleiben. Für Ahmed ist dies keine Frage des Damit-Lebens, sondern eine des Trotzdem- und deshalb Über-Lebens. Sie reklamiert dabei die wunderbar provokative Figur des killjoys für sich, der Person, die dadurch, dass sie ein Problem (penetrant!) benennt, selbst zum Problem wird. Die feministische Spaßbremse, also, die hier aber trotzig positiv belegt wird, weil sie durch ihr fortwährendes Einfordern von struktureller Veränderung zwar denen, die es sich in den bestehenden Machtverhältnisse bequem gemacht haben, den Spass verdirbt, anderen jedoch umfassende gesellschaftliche Teilhabe erst ermöglicht. 

Architektur als Disziplin hat sich in den letzten Jahren durchaus offen für partizipatorische, teamorientierte Ansätze gezeigt, die der Stimmenvielfalt der stakeholder Raum gibt. Gleichzeitig jedoch wird solchen Ansätzen gerne der Beigeschmack des verwässerten Kompromisses angeheftet, der die Qualität des  Endprodukts mindert. Auch der Werkskanon wird noch zu oft als Heldenepos in der Figur des Stararchitekten weitererzählt. Sich damit kritisch auseinanderzusetzen, bei den Studierenden ein Bewusstsein für das strukturelle Machtgefüge zu wecken, in dem sie agieren, und daraus folgend sich Wege zu erarbeiten, wie es auch anders gehen kann, war Ziel des Seminars: Ein Arbeitsprozess sollte entwickelt werden, der Stimmenvielfalt nicht nur zulässt, sondern willkommen heisst und als Mehrwert betrachtet.

Wie können solche Beobachtungen nun didaktisch umgesetzt werden? Wie bringt man Stimmenvielfalt im Gestalten der gebauten Umwelt wirkungsmächtig zum Klingen? Ein Schlüsselprinzip ist hierbei der Begriff der Stimme. Die oft gestellte Forderung, dass wer gehört werden will, halt eben dieselbe erheben muss, dass Stimme also eine Bringschuld des einzelnen ist, wird im Seminar hinterfragt und modifiziert. Stimme wird begriffen als individuelle und kollektive Bringschuld. Sie erfordert eine Übereinkunft in der Gruppe, jeder einzelnen Stimme, wie leise oder laut, wie vertraut oder fremd sie auch sein möge, Respekt und Reflexion entgegenzubringen. Eine vielleicht noch wichtigere Anforderung richtet sich an die „Regelmacher“ innerhalb der Hierarchie, in diesem Fall also an die Lehrenden, deren Aufgabe es war, einen Resonanzraum zu schaffen, in dem offene, demokratische Verhandlung von Meinungen stattfinden konnte. Ziel war nicht das Durchsetzen der eigenen Ideen durch das Auslöschen anderer, sondern die Bündelung zur gemeinsamen Stimme. 

Der Survival Kit ist Sara Ahmeds persönliche Liste von Handlungsanweisungen, mit denen sie sich eine eigene Heimat in der Nicht-Heimat baut. Er fungierte als Grundlage für die Studierenden, die eigenen Strategien zu identifizieren und als Programm für die Lounge zu postulieren. Erster Schritt für die Übersetzung ins Räumliche war dabei die Visualisierung der gewählten Strategien. Hier kam die Entwurfsmethodik des Analogical Thinking in Spiel, die dafür eintritt, die ausgetrampelten Pfade des Entwerfens nach Programm und Funktion verlassen und stattdessen durch das Denken in Analogien radikale Imaginationsräume anzuzapfen. Die mit Fantasie, Farben und Formen explodierenden Ergebnisse dieser Reisen ins Imaginäre sind im Band ausführlich dokumentiert. Sie sind ein Höhepunkt des Buches und bildeten das Fundament für weitere Entwürfe, die in kleineren Gruppen konkretisiert und zum Schluss in einen gemeinsamen abschliessenden Entwurf verdichtet wurden. Dessen detaillierter Ausarbeitung inklusive Konstruktionszeichnungen und Kostenschätzung wurde dabei genauso viel Wert zugemessen wie den vorherigen Schritten. 

Für die nächsten Stufen, das Bauen der Lounge, Installation und das Sich-Erwohnen auf dem WIA Festival sind zwei weitere Dokumentionen geplant. Für jetzt bleibt also die Vorfreude darauf, im nächsten Juni mit einer Bande anderer killjoys die Lounge in Besitz zu nehmen und das Glück in der Tätigkeit des konstruktiven Spassverderbens zu entdecken.

Buchbesprechung von Wiltrud Simbürger, 2021 © Wiltrud Simbürger

 

Rima Ubeid, aus der Publikation Designing the Survival Lounge, July 2020


Student*innen des Projektes:

Mohammad Allan, Natasha Nurul AnnisaSeyedehkosar Asghari, Serdar Ayvaz, Ilayda BirgülMerlina Stephans DupeyronNeside Sevinc Durgut, Eda Özge Düzgün, Felita Felita, Galina Grinberg, Emmanouil Martakos Galiatsatos, Sena Gür, Christine Hartl, Jakob Michael Holtz, Rowaa Ibrahim, Gabriel Paul Jacobs, Ekaterina KropachevaTildem Kirtak, Antonia Maria Leicht, Iryna Myronchuk, Elise-Phuong Ha Nguyen, Sofia Andrea Orellana, Neo Mara Räther, Miranda Rigby, Santiago Sanchez, Nikita Ashleigh Schweizer, Laura Schwarzenberger, Neele Sofie Thrän, Rima Ubeid, Leoni Weyrauch, Greta Wörmann, Veronika Zaripova